Die Unvergleichbarkeit der Shoah
Eine äußerst unangemessene Argumentationsweise hält sich hartnäckig im politischen Diskurs: der Holocaustvergleich. Geschichtsrevisionist*innen bezeichnen die alliierten Bombenangriffe auf Dresden und andere deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg häufig als "Bombenholocaust". Die Motivation dahinter ist offensichtlich: die Kriegshandlungen der Alliierten zu riesigen Verbrechen hochstilisieren und die deutschen Taten damit relativieren.
Ähnlich gehen Antisemiten vor, die ihren Hass unter dem Deckmantel der Israelkritik formulieren und behaupten, mit den Palästinenser*innen passiere genau das, was den Jüd*innen damals widerfahren ist. Angesichts der stetig anwachsenden Bevölkerungszahl in den palästinensischen Gebieten kann kaum von einem Völkermord die Rede sein, und wenn, dann wäre es der wohl ineffizienteste Genozid der Geschichte. In solchen offenkundig blödsinnigen und falschen Behauptungen wird die Shoah als Argument herangezogen, um zweifelhafte Ansichten zu legitimieren – in der Regel auf Kosten der Jüd*innen.
Manche Abtreibungsgegner*innen sprechen vom "Babycaust", als hätte der – mitunter medizinisch notwendige – Eingriff auch nur im entferntesten etwas mit dem faschistischen Menschheitsverbrechen gemein und stellen Ärzt*innen wie Kristina Hänel in eine Reihe mit nationalsozialistischen Kriegsverbrechern.
Aber auch ohne Antisemitismus, Misogynie oder nationalistisch motivierter Geschichtsklitterei muss der beispiellose Massenmord als Vergleich herhalten. Die Tierschutzorganisation PETA hat 2002 die Kampagne "Der Holocaust auf Ihrem Teller" gestartet, die Bilder aus Tiertransporten Aufnahmen aus Vernichtungslagern gegenüberstellte, um auf die angeblichen Parallelen aufmerksam zu machen. Die Empörung war groß: Solche Vergleiche würden die Verbrechen der Nazis relativieren und der Shoah ihre historische Einzigartigkeit absprechen. Es gab und gibt aber auch regen Zuspruch aus dem veganen und antispeziesistischen Lager. Bis heute sind das Geschichtsbewusstsein und das Argumentationsvermögen einzelner Tierrechtler*innen bestenfalls rudimentär ausgebildet.
Im Gegensatz zu den eingangs erwähnten Gruppierungen kann die Intention der Tierschützer*innen durchaus als löblich bezeichnet werden, schließlich stören sich auch immer mehr Fleischesser*innen an den Bedingungen der Massentierhaltung und den zerstörerischen Folgen für die Umwelt. Inhaltlich aber hinkt der Vergleich. Mehr noch: Er stolpert unbeholfen und kann aus eigener Kraft nicht mehr aufstehen.
Die Shoah war der historisch einzigartige Versuch, eine ganze Bevölkerungsgruppe auszulöschen mitsamt ihrer Kultur und Geschichte. Jede Erinnerung an das, was die Faschist*innen als "jüdisch" bezeichnet haben, sollte auf alle Ewigkeit von der Erde gefegt und aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt werden. Die religiösen Praktiken, die kulturhistorische Entwicklung, die Literatur, die Kunst, die individuellen Schicksale – keine Erinnerung sollte bewahrt werden an das, was aus antisemitischer Sicht irgendwie jüdisch konnotiert sein könnte.
Und hier liegt die Krux bei allen Vergleichen, welche die Shoah mit etwas anderem in Verbindung stellen als mit dem industriellen Massenmord an den Jüdinnen und Juden durch deutsche Hand. Das Schwein hinter dem Billigschnitzel wurde nicht diskriminiert, denunziert, verhaftet, deportiert, misshandelt, vergast und schließlich im Krematorium verbrannt. Dieser Vergleich – wie auch alle anderen hier genannten – blendet aus, was für eine zivilisatorische Zäsur die Shoah war.
Dabei ist Kritik mehr als angebracht: Die Fleischindustrie beutet die Tiere aus, zwängt sie in enge Käfige, pumpt sie mit Medikamenten und Futter voll, ehe sie ein präkarisierter Leiharbeiter schlachtet mit der Gleichgültigkeit eines gelangweilten Beamten am Faxgerät. Keineswegs aber wollen die Profiteure dieses Industriezweigs die Tiere ausrotten und aus den Geschichtsbüchern tilgen. Tiere sind für Tönnies und co. Ressourcen, Nutzgegenstände, mit denen sie Profit erwirtschaften, so wie Mehl für den Bäcker und Mörtel für den Maurer. Fleischfabrikanten sind von dem Fortbestehen von Hühnern, Schweinen und Kühen wirtschaftlich abhängig.
Die Nazis haben den beispiellosen Massenmord begonnen, weil sie ihn zu Ende führen wollten. Die Fleischindustrie verfolgt kein abschließendes Ziel, sondern nur das kapitalistische Gebot der Profitmaximierung. Für jedes geschlachtete Tier muss schnell ein neues her. Die Produktion darf so gesehen kein Ende haben, und sie wird es zumindest in absehbarer Zeit auch nicht. In den Schlachthöfen geht es unmenschlich zu. Ein Genozid aber findet dort nicht statt, und erst recht keine Barbarei von dem Ausmaß der Shoah.
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