Männer brauchen Feminismus

Diktatoren der Lebensführung: die Geschlechtschromosomen.

Der Begriff Feminismus ist historisch untrennbar mit der Emanzipationsbewegung der Frau verbunden. Jedes bisschen Gleichberechtigung musste gegen den erbitterten Widerstand der Männerwelt erkämpft werden. Heute dürfen Frauen wählen und ohne Begleitung ihres Ehegatten ein Bankkonto eröffnen; ein zivilisatorisches Mindestmaß an Gleichstellung scheint erreicht. Von wirklicher Gleichberechtigung ist unsere Gesellschaft jedoch noch weit entfernt.

Frauen verdienen nach wie vor deutlich weniger Geld als Männer, sind wesentlich häufiger Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt und machen mehr als 90 Prozent aller alleinerziehenden Elternteile aus. Kurz: Noch immer sind es tendenziell Männer, die das Geld nach Hause bringen, und Frauen, die dort warten und sich um Haushalt und Kinder kümmern. Es ist logisch, warum Frauen und andere Gruppen, die nicht Teil der männlichen Heteronormativität sind, weiter für ihre Rechte kämpfen und sich nicht zufriedengeben. Trotz ihrer Privilegien haben jedoch auch Männer in diesem Kampf viel zu gewinnen.

Feminismus bedeutet für Frauen, das Rollenbild zu verlassen, in das sie im Namen der Tradition reingedrängt werden. Dabei gibt es genügend Männer, die unglücklich sind im Stereotyp des harten, emotionslosen Alleinverdieners, dessen Testosteronspiegel nur von seinen Testwerten auf der f-Skala übertroffen wird. Diejenigen etwa, die sich nicht trauen, Hauswirtschaft zu belegen, obwohl sie keine Lust auf Werkunterricht haben. Diejenigen, die am liebsten in Teilzeit arbeiten würden, um mehr Zeit für Hausarbeit und Familie zu haben, sich aber nicht trauen, den Chef danach zu fragen.

Auch Männer leiden unter strukturellen Ungleichheiten, die nur durch gesellschaftliche Erwartungen und entsprechende Sozialisation zu erkläre sind: Sie werden 15 mal häufiger zu Gefängnisstrafen verurteilt als Frauen. Sie verüben häufiger schwere Straftaten als Frauen, sind aber auch häufiger Opfer. Sie begehen häufiger Suizid und sterben früher. Diese statistischen Unterschiede haben nichts mit den Chromosomen zu tun oder dem Hormonspiegel im Blut, sondern mit antiquierten Rollenbilder und toxischer Männlichkeit.

Feminismus ist heute präsenter als zu seinen Anfangszeiten. Autorinnen wie Margarete Stokowski, Sophie Passmann oder Teresa Bücker schreiben für große Medien, veröffentlichen Bestseller und glänzen in Talkshows. Sie haben die Themen der feministischen Pionierinnen ins 21. Jahrhundert gebracht und erreichen damit ein riesiges Publikum. Für viele Männer ist Feminismus dennoch weiterhin ein vorrangig weibliches Projekt, das sie im besten Falle durch Passivität unterstützen.

Sie fühlen sich vom selbstbewussten Feministinnen eingeschüchtert oder gar angegriffen. Sie lehnen Frauenquoten ab mit der Begründung, dass diese ja nur umgekehrter Sexismus seien. Sie rollen mit den Augen, wenn die neue Kollegin kurz nach Vertragsunterschrift schwanger wird, obwohl sie keine Ahnung von den Problemen haben, mit denen Frauen sich im Berufsleben herumschlagen müssen, sofern sie nicht auf eigene Familie verzichten möchten. Sie tun feministische Autorinnen als radikal oder realitätsfremd ab, ohne sich tiefergehend mit ihren Werken beschäftigt zu haben. Sie reden sich einerseits ein, moderne Männer zu sein, leben aber gleichzeitig dieselben Lebensentwürfe wie ihre Väter und Großväter vor ihnen.

Auch die privilegierte Seite sollte daran interessiert sein, die Lasten der Geschlechterrollen gerechter zu verteilen. Das Leben in starren Kategorien ist weder frei noch authentisch, auch nicht für die tendenziell Bessergestellten. Oder ist es etwa männlich, im Beruf immer wieder bevorzugt zu werden, obwohl eine Frau es vielleicht besser kann?

Studien zufolge nehmen nur rund 40 Prozent aller frischgebackenen Väter überhaupt Elternzeit, und davon viele nur die Mindestdauer von zwei Monaten. Es ist nur schwer vorstellbar, dass tatsächlich nur so wenige Männer von Anfang an viel Zeit mit ihrem Nachwuchs verbringen möchten. Die Schuld für das mangelhafte Engagement ist daher nicht immer allein bei den Vätern zu suchen. Manche Arbeitgeber machen ihren männlichen Angestellten unmissverständlich klar, dass Elternzeit nicht gern gesehen wird.

Auch wenn laut Gesetz niemand deswegen benachteiligt werden darf, sieht die Realität in vielen Fällen anders aus. Es scheint in den meisten Chefetagen noch nicht angekommen zu sein, dass immer mehr Männer freiwillig Zeit mit ihren Kindern verbringen und eine Partnerschaft auf Augenhöhe anstreben. Dass sie aus eigenem Antrieb ein vollwertiger Elternteil sein wollen, anstatt als ewig abwesender Geldverdiener stets nur die zweite Geige in der Erziehung zu spielen.

Es ist ärgerlich, wenn Männer sich mit reaktionären Vorgesetzten rumschlagen müssen. Für viele Frauen ist das jedoch der Normalfall. Sie müssen seit Jahrhunderten für jedes bisschen Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen und wissen, dass sich von selbst nichts ändert. Nun sehen sich auch Männer vermehrt mit Strukturen konfrontiert, die unfair, sexistisch und vollkommen antiquiert sind. Auch für sie bietet Feminismus einen Ausweg.

Hinter dem Begriff Feminismus verbergen sich kein Konkurrenzkampf zwischen den Geschlechtern, kein Ringen um Vorherrschaft und kein Wettrennen um Privilegien. Ein Mensch ist nur dann frei, wenn er so leben kann, wie er wünscht. Dafür lohnt es sich zu kämpfen. Und wie das geht, können Männer von Frauen lernen.

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